Bei »Urban Types. Von Häusern und Menschen« geht es um Ihr, euer und unser »Wohnen«. Anhand von Haus- und Bewohner*innenbiografien suchen wir zu erfahren: Wann, wie, wo und mit wem wohnen wir in Zimmern, Häusern, Quartieren, in der Stadt und in der Welt? Ausdifferenzierungen in unseren Lebensweisen prägen dabei unser Wohnen, nicht aber unbedingt unsere Wohnungen. Wir interessieren uns für das alltäglich praktizierte (Be-) Wohnen in Relation zu den gebauten Räumen und fragen uns: Stecken darin Wissensräume, die uns mögliche Zukünfte des Wohnens aufschließen können? Wie kann dieses Wissen gehoben, aufbereitet, kommuniziert, verfügbar gemacht und übersetzt werden und können dadurch Alternativen zu den oftmals auf Zuweisungslogiken und Standards basierten aktuell produzierten Wohnmodellen entwickelt werden?
Der Begriff »Wohnen« berührt auf verschiedenen Maßstabsebenen unterschiedliche Themenfelder in ihren jeweiligen Dimensionen. Mit »Urban Types« schauen wir uns auf einer alltäglich praktizierten Ebene die Relationen zwischen Bewohner*innen und ihren Wohnungen und Häusern an. Wir fokussieren sowohl auf gelebte Wohnpraktiken und Aneignungen der Bewohner*innen, genauso wie auf die Bau-, Umbau- und Weiterbauprozesse der von ihnen bewohnten Häuser. Gleichzeitig beinhaltet diese alltägliche Ebene eine Auseinandersetzung auf nationaler bzw. globaler Ebene: Welche Wohnpraktiken existieren wann, wie, wo und mit wem? Wie materialisieren diese sich in bestimmten Haustypologien? Welchen Kompromissen, Arrangements und Logiken unterliegen sie? Damit kommt notwendigerweise die Wohnwirtschaft ins Spiel, denn Wohnen drückt immer auch gesellschaftliche Machtverhältnisse, Ungleichheiten und Politiken aus. War in den 2000er Jahren von der Gentrifizierung, den Verdrängungs- und Ausschlussmodi bestimmter Bewohner*innen, die Rede, handelt es sich nun um die Finanzialisierung (Sassen 2012), die der Wohnungsfrage (Engels 1848) weiter zusetzt. Nicht zuletzt beschreibt die Geschichte »Von Mäusen und Menschen« von John Steinbeck, dessen Untertitel »Urban Types. Von Häusern und Menschen« sich leiht, unter anderem auch den Traum des Eigenheims für das »bessere Leben«. Der 1937 erschienene Roman verhandelt den American Dream im Kontext der Great Depression: Zwei Habenichtse, Saison- und Feldarbeiter, sind unterwegs in Kalifornien und träumen von einem besseren Leben. Der smarte George kümmert sich um seinen bärenstarken, aber geistig zurückgebliebenen Kameraden Lennie; zusammen ziehen sie von Farm zu Farm, wo harte Arbeit und Einsamkeit regieren. Gemeinsam verfolgen die beiden einen Traum: Mit ihrem Lohn wollen sie eines Tages ein Stück Land mit Haus, Kühen, Schweinen, Hühnern und Kaninchen kaufen. Das Drama nimmt seinen Lauf – doch liegt aus unserer Sicht die Tragödie auch darin, dass das Einfamilienhaus, wahlweise auch in Variation als Eigentumswohnung, immer noch die gesellschaftliche Idealvorstellung ist, die es zu erreichen gilt.
Gerade in der aktuellen Diskussion, die eine globale Dimension des Wohnens in Form von oftmals leer stehenden Finanzialisierungsobjekten auf der ganzen Welt impliziert, fragen wir uns: Können – und müssen – wir Wohnen nicht langsam anders denken? Und zwar sowohl aus sozialer, ökologischer und ökonomischer Sicht? Was, wenn die Beziehungen zwischen Bewohner*innen und ihren Häusern noch mehr in den Hintergrund geraten, bis sie letztendlich ganz verschwinden (Push. Ein Grundrecht auf Wohnen. 2019)? Deshalb möchten wir mit unserem Format »Urban Types. Von Häusern und Menschen« den Fokus auf den Gebrauch lenken, begreifen also das Wohnen als Prozess und Praxis, als Tätigkeit und Tat-Sache (wohnbund / HCU 2016).
Wenn wir von Häusern und Menschen sprechen, geht es uns um die Auseinandersetzung mit der gelebten Beziehung zwischen Häusern und Menschen, um die Erfahrung und Praxis des Wohnens, was in der meist vermeintlich objektiven Betrachtung von Wohnungswirtschaft und Wohnungspolitik wenig Beachtung findet, weil es auf Zahlen und Statistiken reduziert wird. So hebt Peter Marcuse bezüglich der Studie We Call These Projects Home: Solving the Housing Crisis from the Ground Up (Right to the City Alliance 2010) genau diesen qualitativen Aspekt hervor, denn was die tatsächlichen Nutzer*innen des New Yorker public housing über ihr Wohnen und ihre Wohnungen denken und was für Vorschläge sie machen, wird meist weder dokumentiert noch diskutiert. Urban Types möchte den Perspektiven der Bewohner*innen wie auch der Häuser nachgehen und zum Nachdenken über diese Beziehungen anregen. Die allgegenwärtige Forderung nach bezahlbarem Wohnraum steht der praktizierten Finanzialisierung von Wohnraum diametral gegenüber und legt eine Auseinandersetzung mit dem Dispositiv des Wohnens nahe, die über die Baukostensenkung oder Förderung Einzelner weit hinausgeht (vgl. Holm et al. 2017) und stattdessen auf tatsächliche gelebte Wohnpraxis fokussiert. Es kann nicht ausschließlich um quantitative Realisierungsmodi im Neubau gehen, es muss auch um die zugrundeliegenden Motive, Praktiken und Verhältnisse gehen: Wie wohnen wir denn?
Wir gehen davon aus, dass Wohnen und vor allem das neu produzierte Wohnen immer noch aus der zunehmend veraltenden Perspektive der Familie gedacht wird. Das Kinderspiel „Vater, Mutter, Kind“ heißt in der englischen Übersetzung „Let’s play house“ und deutet auf die enge Verknüpfung hin, die zwischen der sozialen Typologie (Familie) und der baulichen Typologie (Haus bzw. Wohnung) besteht. In der Betrachtung dieses Spiels und seiner deutschen und englischen Namen wird deutlich, dass „playing house“ ebenso wenig nur mit dem Haus zu tun hat, wie „Vater, Mutter, Kind“ nur mit Familie beschäftigt ist. Beide Varianten des Spiels sind, wie Colin Ripley es provokativ ausdrückt, „about gender and sexual roles“ und beschäftigen sich ganz zentral mit Arbeitsverhältnissen, Abhängigkeiten, Druck, Macht und Privilegien. Diese sozialen Verhältnisse sind immer auch räumlich, mehr oder weniger versteinert und mobil und immer verortet in biografischen Umständen und körperlichen Erfahrungen. Während „Familie“ für ein dominant normatives und politisch gefördertes Sozialmodell steht, ist das Haus (oder die Wohnung) die architektonische Entsprechung dieser Norm. Feminist*innen und kritische Architekt*innen haben die Familien-Haus-Assemblage kritisch untersucht und diskutiert (z.B. Dolores Hayden 2002; Ulla Terlinden 2010; Christine Hannemann 2014; Kerstin Dörhöfer 2007; Ruth Becker 2008). Und obwohl viel über das Wohnen gesprochen, geschrieben und geforscht wird und obwohl beide dieser (baulichen und sozialen) Typologien vielfach hinterfragt, kritisiert und transformiert wurden und werden, ist es doch erstaunlich, dass sie nach wie vor die gängigen Modelle unserer (Ideal-) Vorstellungen sind. Schauen wir uns Haushaltsdaten in Deutschland an, fallen die vielen Haushalte mit ein oder zwei Personen auf; erst an dritter Stelle kommen Haushalte mit 3 oder mehr Personen und das sind ja nicht notwendigerweise Familien. Betrachten wir dagegen die Wohneinheiten, die derzeit geplant und gebaut werden, sind dies Familienwohneinheiten mit den (in Verknüpfung zu Förderrichtlinien aus den 60er Jahren stammenden) genormten Maßen für Schlaf-, Kinder- und Wohnzimmer.
„Der Zuschnitt der Wohnungen – die großen Räume für Repräsentation, Freizeit, Ruhe und Erholung, die kleinen für Hausarbeit und Kindererziehung – orientierte sich an männlicher Lebenswelt und privilegierte sie, obwohl der Mann außerhalb des Hauses tätig und viele Stunden nicht anwesend war. Das Leitbild der bürgerlichen Kleinfamilie, in der der Vater als Ernährer der Familie galt und die Mutter als zuständig für Heim und Kinder, wurde in den Nachkriegsjahrzehnten im wörtlichen Sinne versteinert, zementiert oder in Beton gegossen. Die Wohnarchitektur spiegelte die gesellschaftlichen Zuordnungen der Geschlechter.“ (Dörhöfer 2007: 48)
Die Wohnungsfrage (vgl. Engels 1848) ist nach wie vor stark mit den sozialen, politischen, ökonomischen, psychologischen und Design-Verständnissen sowie gesellschaftlichen Normen verknüpft.
In dieser Diskussion gerät dabei der Bestand in seinem jeweiligen Gebrauch neu in den Blick. Wir befassen uns deshalb mit dem Wohnen und Arbeiten in gründerzeitlichen Blockrandstrukturen genauso wie in Einfamilienhäusern, Zeilenbauten und Großwohnsiedlungen, Mietskasernen und allen weiteren Typologien. Das städtische Gefüge, die darin sich materialisierenden vielfältigen und z.T. hybriden (Um)Nutzungs- und Transformationsprozesse bergen ein Potenzial, das in der gegenwärtigen Diskussion um bezahlbares Wohnen, kostengünstiges Bauen und Gebrauchs- bzw. Eigentumsstrukturen zu Unrecht aus dem Blick gerät.
Anhand von Haus- und Bewohner*innenbiografien gehen wir dem Motiv nach, das Wohnen als Praxis auf unterschiedlichen Maßstabsebenen mit vielfältigen Methoden (Videographie, Interviews, Beobachtung, Zeichnungen und Dokumentenanalyse) zu untersuchen und nachzuzeichnen. Das Material wird auf den drei Maßstabsebenen Stadt-Block, Block-Haus und Haus-Zimmer in der Betrachtung der verschiedenen Zeitschnitte von Vergangenheit, Gegenwart und angedachter Zukunft erhoben. Die Auswertung und das Ausloten möglicher Zukünfte kann dann über das Herausbilden von Szenarien auf diesen erhobenen Grundlagen produktiv gemacht werden. Mittels einzelner Fallstudien von Gebäuden und Bewohner*innen fragen wir nach Zusammenhängen zwischen Geschichte, Struktur, Materialität, Konstruktion, Gesetzen, Politiken, Regeln, Normen, Typologien und Gebrauch, die dem Gebäudebestand und den Bewohner*innen innewohnen. Wie sind die Gebäude konstruiert und gebaut? Wie werden sie gebraucht und bewohnt? Welche politischen, sozialen, ökonomischen, familiären, kulturellen Rahmenbedingungen kommen darin zum Ausdruck? Was für Bewohner*innenstrukturen können ermittelt werden und wie stehen diese im Zusammenhang mit den Gebäuden? Können Haus- und Bewohner*innenbiografien über die Analyse der gegenwärtigen Situation und ihres Zustandekommens (oder Gewordenseins) in mögliche Zukünfte übersetzt werden? Was heißt das für bestehende Regelwerke und Praktiken? Wie stehen aktuelle Standards individuellen Bedarfen gegenüber? Wie können Erkenntnisse und Potenziale aus den Untersuchungen auf unterschiedlichen Maßstabsebenen entfaltet und nutzbar gemacht werden? Das Format »Urban Types. Von Häusern und Menschen« ermöglicht eine Diskussion der unterschiedlichen urbanen Typen und Typologien des Wohnens. Es sucht über die alltägliche Praxis des Wohnens und die aktive Teilnahme an der Forschung nach neuen Fällen, Beispielen, Kontrasten, Überschneidungen und Wahrnehmungen. Schließlich fordert es einen sich gegenseitig bereichernden Austausch zwischen Lehre, Forschung und Praxis.
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