Forschung ist eine tätige Auseinandersetzung mit der Welt (frei nach Georg Wilhelm Friedrich Hegel in der Phänomenologie des Geistes von 1807). Wir machen Erkenntnisse, der Erkenntnisprozess ist in diesem (Hegelschen, Arendtschen) Sinne Arbeit. Der Forschungsprozess gliedert sich in verschiedene Phasen und Perspektiven, in denen jeweils unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt werden (müssen). Wir beziehen uns in der Gliederung der Perspektiven auf die Linguistik, wenn wir von Semantik, Syntax und Pragmatik sprechen.
In der ersten Phase oder Perspektive – Semantik – sind Was-Fragen von Bedeutung: Was wollen wir erforschen, was ist unser Motiv, was wissen wir bereits und aus welchen Quellen bzw. Zusammenhängen, was ist die Forschungsproblematik? Semantik ist in der Linguistik die Bedeutungslehre. Hier geht es um Bedeutungen und Vorgefundenes. Die zweite Phase oder Perspektive – Syntax – befasst sich mit Wie-Fragen: Wie können wir relevante Daten erheben, mit welchen Methoden wollen wir wie auf die Forschungsproblematik eingehen, wie analysieren wir erhobene Daten, wie formulieren wir Erkenntnisse? Syntax bezeichnet in der Linguistik die strukturellen Zusammenhänge von Wörtern in Sätzen, sprich Ordnungen, Abhängigkeiten, Satzstellungen. Hier geht es um Sinnzusammenhänge und die Grammatik des Forschungsvorhabens. Die letzte Phase oder Perspektive – Pragmatik – setzt sich mit der eigentlichen Durchführung und den damit einhergehenden Schwierigkeiten und z.T. auch Unwägbarkeiten auseinander: Wie kommen wir ins Feld, wie führen wir Interviews oder Beobachtungen durch, wie gehen wir mit den Daten um, wie verhalten wir uns zu unserem Gegenstand und den Menschen und Dingen, die in unserer Forschung eine Rolle spielen, wie organisieren wir den Forschungsprozess? Pragmatik bezeichnet in der Linguistik den Sprechakt, d.h. das praktizierte Ausagieren von (meist unbewusst erlernten) grammatischen Konstruktionen, aber auch Dialekten. Hier geht es um das Machen und Bewerkstelligen von Forschungsaktivitäten.
Wir übernehmen diese dreigliedrige Methodologie der Raumforschung von Gabriele Sturm (2000) und erweitern bzw. transformieren sie in die vier Modes of Play, die noch stärker den tätigen Auseinandersetzungscharakter von Forschung berücksichtigen.
Forschung, die sich als tätige Auseinandersetzung mit der Welt versteht, beginnt mit einem Motiv. Es muss einen Impuls geben, der die forschende Person dazu veranlasst, forschend tätig zu werden und ein Erkenntnisinteresse zu verfolgen. Patrick Heiser (2018: 22) entzaubert quasi den großen Begriff „Erkenntnisinteresse“: „Am Beginn eines Forschungsprozesses steht häufig eine irritierende Beobachtung, die das Interesse eines Forschers bzw. einer Forscherin weckt.“ Hier hilft der Begriff „Motiv“, sich mit den Gründen für dieses Interesse, der Irritation, auseinanderzusetzen und zu artikulieren, warum für das Thema Interesse besteht, warum etwas irritiert. Das Erkenntnisinteresse ist das, was ich wissen will; das Motiv ist das, was mich – als forschende Person – bewegt. Das (notwendig subjektive) Motiv ist am Gegenstand mit dem kontextualisierten Erkenntnisinteresse zusammenzudenken, d.h. im Forschungsdiskurs, in der Disziplin, in der theoretischen Auseinandersetzung einzubetten.
Ein gutes Beispiel ist ein relativ alter Text, der längst als Klassiker herhält. Zwar benutzt Paul Davidoff an keiner Stelle den Begriff „Motiv“, doch macht er sehr deutlich, dass Planung (und dies gilt auch für Forschung) nie neutral ist. Die Kunst besteht darin, die eigene Position zu einem Gegenstand, einem Sachverhalt, einem Phänomen mit den disziplinären Wissensbeständen, Diskussionen und Positionen zusammenzubringen, um so das Erkenntnisinteresse nicht nur zu formulieren, sondern auch zu begründen. Diese Bewegung hat er in einem Praxis-Ansatz für die Planung ausgeführt und die sogenannte „Anwaltsplanung“ begründet, nach der Planer*innen sich zu Anwält*innen für diejenigen machen sollen, die in der geplanten Umwelt leben.
In seinem Text „Advocacy and pluralism in planning“ (Davidoff 1965: 331) stellt er zunächst fest: „The society of the future will be an urban one, and city planners will help to give it shape.“ Damit legt er einen Sachverhalt in einfachen Worten und gleichzeitig in Planer*innensprache dar. Weiter schreibt er: „The prospect for future planning is that of a practice which openly invites political and social values to be examined and debated.“ Das Verb „invite“ gibt Hinweis darauf, dass politische und soziale Werte bisher (1965) nicht explizit in der Planung untersucht und diskutiert werden. „Acceptance of this position means rejection of prescriptions for planning which would have the planner act solely as a technician.“ Diese drei Sätze veranschaulichen, wie das Erkenntnisinteresse hergeleitet und in einen bestehenden Diskurs eingebettet werden. Um sein Motiv, Planung im Sinne eines Anwalts für bestimmte Öffentlichkeiten zu betreiben, nachvollziehen zu können, ist es natürlich notwendig, den ganzen Text zu lesen, doch sei hier soviel vorweggenommen: Paul Davidoff studierte zunächst Jura, dann Planung und sah ein strukturelles Defizit in der Planung, die hoheitlich ausgeübt wird und im Sinne einer demokratischen Gesellschaft weit enger mit den Menschen, die von der Planung betroffen sind, zusammenarbeiten müsste. So kommt er auf den Begriff der Anwaltsplanung und fordert, dass Planer*innen wie Anwält*innen für ihre Mandant*innen oder Klient*innen arbeiten müssten.
Wenn das Motiv der Antrieb ist, eine Forschung durchzuführen, ist das Erkenntnisinteresse das Ziel: Motiv und Erkenntnisinteresse sind eng aufeinander bezogen und bedingen sich gleichsam gegenseitig. Im Lehr- und Forschungsbereich Urban Design an der HafenCity Universität Hamburg ist für den Forschungsprozess eine Minimalstruktur erarbeitet worden: Die Modes of Play. Die vier Modi oder Spielweisen werden im Folgenden beschrieben (Dell et al. 2017).
Im ersten Schritt geht es darum, das Motiv und das Erkenntnisinteresse zu formulieren und in einen konkreten Kontext einzuordnen. Das Motiv – der Beweggrund, etwas zu unternehmen – bringt die forschende Person gleichermaßen ins Spiel; das Spiel beginnt mit der Formulierung des Motivs und des Erkenntnisinteresses. Es ist sinnvoll, bereits diesen ersten Schritt des Artikulierens eines Interesses und des Motivs als Teil des Spiels »Forschung« zu begreifen, schließlich kann die forschende Person sich während des gesamten Prozesses nicht von subjektiven und subjektiv-wahrgenommenen Interessen und Perspektiven freimachen – und soll dies, zumindest in der qualitativen Forschung, auch nicht tun.
Im zweiten Schritt werden eine Fragestellung entwickelt und präzisiert, die Methode(n) der Datenerhebung und Datenanalyse festgelegt und ein Forschungsdesign erstellt. In diesem Schritt werden die Rahmenbedingungen für das Forschungsprojekt festgelegt: Wer ist wie beteiligt an der Forschung? Was will ich wie und warum herausfinden? Wie ist der Stand der Forschung; was sagen und schreiben, was zeichnen und entwickeln andere zu diesem Thema, der theoretischen Einordnung, dem Ort oder Phänomen? Wie gehe ich ins Feld? Wie gehe ich mit ethischen und rechtlichen Fragen um; wie stelle ich mein Projekt den Beteiligten vor und wie erhalte ich eine Einverständniserklärung? Welche Daten möchte ich erheben? Welche Methoden dienen der Datengewinnung? Wie werden die Daten organisiert und analysiert? Welche Methoden kommen hier zum Einsatz? Wie bringe ich den Forschungsprozess und seine Ergebnisse zur Darstellung? Die Spielregeln gleichen einer robusten und gleichzeitig möglichst flexiblen Struktur, die während des Forschungsprozesses einen Rahmen setzt und auf unerwartete Herausforderungen oder auftretende Schwierigkeiten reagieren kann. Es ist deshalb empfehlenswert, die Setzung der Spielregeln selbst als iterativen Prozess zu verstehen, der sich mit jeder weiteren Schleife reflektieren und modifizieren lässt und so zur kontinuierlichen Schärfung des Projekts beiträgt.
Die dritte Phase stellt den eigentlichen Forschungsprozess dar: Hier geht es ums Machen: eine Fallstudie festlegen, Forschungspartner*innen ansprechen, Einverständnis einholen, Daten erheben, Daten verwalten, Daten analysieren, die Analyse zur Darstellung bringen. Dabei zeigt sich, wie robust und wie flexibel die Spielregeln sind und ob sie ein gewinnbringendes Spielen ermöglichen. Ein Interview z.B. kann noch so gut vorbereitet sein und dennoch ganz anders verlaufen als ursprünglich erwartet oder erhofft – je mehr ich mich vorher mit den Erwartungen und Unsicherheiten auseinandersetze, desto besser kann ich beim Interviewen darauf achten, Antworten auf meine Fragen zu erhalten. Während des Spiels muss ich außerdem jederzeit raus und rein zoomen können, d.h. das große Ganze im Blick behalten und gleichzeitig mich mit den Details auseinandersetzen.
Wenn die Erarbeitung der Spielregeln viel Zeit und Arbeit in Anspruch genommen hat, kann es schwierig sein, sich von der vorbereitenden in die durchführende Phase zu begeben; deshalb ist es hilfreich, die Grenzen zwischen der Spielgestaltung (How to Play) und dem Spiel (Play) als beweglich und durchlässig zu verstehen. Es ist möglich und teilweise sinnvoll, während des Spiels die Spielregeln noch einmal zu überarbeiten; gleichermaßen stellt sich bei der Erarbeitung der Spielregeln immer die Frage, wie sie sich operationalisieren lassen, wo mögliche Schwierigkeiten auftreten können.
Da das Spiel sowohl die Datenerhebung, die Datenanalyse und die Vermittlung der Ergebnisse beinhaltet, können auch zwischen diesen Schritten Diskrepanzen oder Schwierigkeiten auftreten, mit denen umgegangen werden muss. Die Modes of Play, Spielweisen, werden nicht umsonst so genannt: Im Spiel lässt sich eben spielerisch ausprobieren, ausloten, testen, erarbeiten; Spielen ist dabei gleichzeitig als Metapher zu verstehen: Klavier spielen kann sowohl spielerisch als auch ernsthaft betrieben werden; und es hilft ungemein, wenn Forschung zumindest zum Teil ähnlich verstanden wird: als eine performative, ausprobierende, sinnhafte Auseinandersetzung.
Die übergeordnete vierte Phase dient der Verknüpfung des Erarbeiteten mit dem theoretisch-konzeptionellen Kontext: Was bedeutet die Forschung im Licht anderer Ansätze, Fallstudien, Theorien? In diesem Schritt wird aus der eigenen Forschung wieder herausgezoomt und das größere Bild betrachtet: Wie lässt sich das Ergebnis der eigenen Forschung interpretieren? Was bedeuten die Ergebnisse?
In dieser Phase geht es weiterhin darum, die Ergebnisse sowie den gesamten Forschungsprozess zu repräsentieren und zu rekapitulieren. Diese Meta-Ebene lässt sich auch als Projektarchäologie bezeichnen und ist insofern für Urban Types von Bedeutung, als dass es sich bei der Materialseite ja um ein Archiv der einzelnen Fälle, als auch deren Teile in unterschiedlichen Formaten handelt, die selbst wieder zum Gegenstand der Forschung (Coming into Play, How to Play, Play) werden können, indem sie neu befragt, sortiert, analysiert, interpretiert, verglichen, gegenübergestellt werden. Die übergeordnete Meta-Ebene ist demnach Schluss und (Neu-)Anfang zugleich, denn im größeren Rahmen betrachtet ist Forschung ein nie abgeschlossener Prozess. Jede Forschungsarbeit baut auf bereits existierenden Forschungsergebnissen auf, trägt im günstigen Fall neue Forschungsergebnisse bei, vollzieht bereits existierende Ergebnisse anhand von neuen Fallstudien nach, bestätigt oder revidiert bereits existierende Ergebnisse usw.
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