Ein Haus im Grünen - aber zum Teilen
Lage: Dorf in Norddeutschland an der A7
Haustyp: Einfamilienhaus
Baujahr: 2002
Umbau Obergeschoss: 2022
Grundstücksfläche: ca. 1000qm
Gesamtwohnfläche: 160qm
Wohnfläche Untermietung: 33qm, 2 Zimmer mit Durchbruch
Dauerhafte Bewohner:innen: 1
Temporäre Bewohner:innen: 2
Das Einfamilienhaus
I. ist Mitte 50 und lebt heute in einer Konstellation mit einem jungen Pärchen. Das Haus, in dem sie leben, ist ein typisches Einfamilienhaus. Es befindet sich am Rande eines Naturschutzgebietes in einem kleinen Dorf in Schleßwig-Holstein zwischen Hamburg und Kiel.
Das Haus wurde im Jahr 2002 von I. und ihrem damaligen Ehemann für ihre insgesamt fünfköpfige Familie geplant und gebaut. 20 Jahre lang bewohnte die Familie das Haus. Sie fanden das Grundstück damals in der Zeitung. Auf dem Grundstück befanden sich ein kleines Haus und mehrere Schuppen. Das Haus rissen Sie ab, nutzten aber die Materialien des vorhandenen Hauses soweit wie möglich für den Neubau, um nachhaltig zu bauen. So ist die Treppe des heutigen Hauses beispielsweise ein Relikt aus dem Haus, das sich beim Kauf auf dem Grundstück befand, sowie der Keller oder einige Schuppen. Zudem wurde das jetzige Haus komplett aus Holz gebaut.
Auf der Suche nach einer neuen Wohnform
Inzwischen sind alle Kinder ausgezogen und I. von ihrem Ehemann geschieden. Nach dem Auszug der Kinder gab es plötzlich sehr viel Platz in dem 160qm großen Haus und I. begann sich Gedanken zu machen, wie sie in diesem Überschuss an Raum leben möchte und wie sie das Haus weiterhin alleine finanzieren kann.
Sie hatte den Wunsch, einen Teil des Wohnraums zu vermieten, zunächst dachte sie an eine WG-Konstellation mit einer anderen Frau in ihrem Alter. Ihre Wunschvorstellung war es, das Haus mit einer Person zu teilen, die den Ort, genauso wie sie, als Zuhause zu schätzen weiß. Über Ebay-Kleinanzeigen und die Website 50PlusistFabelhaft, eine Webseite für Personen, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, schaltete sie Anzeige auf der Suche nach Mitbewohnerinnen. Nach einigen Besichtigungen hat sich I. gegen eine klassische WG aufgrund von fehlender Privatsphäre und da das Haus "eben ein Familienhaus sei" entschieden.
Schließlich räumte sie alle ihre Möbel und privaten Dinge aus dem Obergeschoss ins Untergeschoss des Hauses. Anschließend besorgte I. via Ebay Kleinanzeigen eine Pantryküche, die sie im ehemaligen Kinderzimmer im Obergeschoss montierte und ließ einen Wasseranschluss verlegen. Schließlich reagierte sie auf eine Anzeige eines jungen Paares um die 30 aus Hamburg, die auf der Suche nach einem Wochenenddomizil im Grünen waren. Das Pärchen bezog anschließend das Obergeschoss.
Die räumliche Aufteilung
Der Bereich des Pärchens beträgt circa 33qm und besteht aus 2 (ehemaligen Kinder-)Zimmern mit einem Durchbruch sowie einem eigenen, dem ehemaligen Familienbad. I. teilt mit ihren Untermieter:innen den Eingangsbereich, man gelangt in das Haus, indem man den gemeinsamen Flur betritt, um dann über die Treppe in die erste Etage zu gelangen. Auch der etwa 1000qm große Garten wird geteilt, das Pärchen aus Hamburg nutzt hier eine eigene Ecke mit separater Terrasse, die extra für sie gebaut wurde. Außerdem besitzen sie im Garten zwei eigene Beete. Die Schuppen, die sich im Garten befinden und als Werkstatt genutzt werden, teilen sie ebenfalls. Hier baute das Pärchen Möbel für ihre Wochenendwohnung im Obergeschoss, wie beispielsweise eine Küchenzeile.
Neben der Wochenendwohnung des Pärchens befinden sich im Obergeschoss zwei weitere Zimmer, die I. als Abstellkammer für Möbel und Dinge ihrer ausgezogenen Kinder nutzt.
Das Zusammenwohnen
Das Pärchen aus Hamburg nutzt die kleine Wohnung im Obergeschoss als Wochenenddomizil und Rückzugsort im Grünen. Im Sommer sind sie fast jedes Wochenende da, wenn sie Urlaub haben, bleiben sie auch mal eine Woche. Im Unterschied zu ihrer Wohnung in Hamburg Ottensen schätzen sie bei I. die Ruhe und die Nähe zur Natur. Für I. ist diese Lösung ebenfalls optimal: Sie teilt ihr Haus temporär ohne jedoch ihren eigenen Lebensstil ändern zu müssen und hat nach wie vor viel Platz und Privatsphäre. Ohne das kulturalisierte Modell des Wohnens im Einfamilienhaus zu überwinden, hat sie sich ihren Wunsch nach (temporärer) Gesellschaft erfüllt. Dabei hat das Zusammenleben von I. und dem Pärchen klare Regeln und es gibt, anders als in klassischen WGs, wenig Aushandlungsprozesse. So ist beispielsweise vertraglich geregelt, dass das Pärchen nicht dauerhaft, sondern lediglich zur Wochenend- und Urlaubsnutzung das Obergeschoss bewohnt. Wenn das Pärchen Besuch mitbringen möchte, ist dies grundsätzlich möglich, muss jedoch vorher bei I. angekündigt werden. Wenn das Pärchen nicht vor Ort ist, darf I. die Badewanne nutzen, die sich im Badezimmer im Obergeschoss befindet. Gleichzeitig bietet I. dem Pärchen eine gemeinsame Nutzung der geräumigen Wohnküche im Erdgeschoss an, was von den beiden jedoch nicht genutzt wird. Wenn I. im Urlaub ist, hat das Pärchen die Möglichkeit, das gesamte Haus zu nutzen, im Umkehrschluss ist vereinbart, dass sie sich um die Pflanzen im Garten kümmern. I. schätzt die Tatsache, dass das Haus auf diese Weise nicht leer steht und jemand für den Ort Sorgen trägt, wenn sie nicht zuhause ist.
Florian Carius / Lea-Elisa Jüttner / Reyhaneh Mohsenian / Christine Seusing – HCU 2024. Lizenz: CC BY-NC-SA
Das Konzept des Hauses im Grünen übt weiterhin eine starke Anziehungskraft aus. Tatsächlich träumt ein Drittel der deutschen Bevölkerung von einem Leben in einem Einfamilienhaus, während ein weiteres Drittel bereits in einem solchen lebt (vgl. Meyer 2021). Angesichts der Herausforderungen durch die Klimakrise, steigende Energiepreise, demografischem Wandel und zunehmende sozial…
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