4 Geschosse | 3 Wohnungen | 1 Familie
Eine Wohngeschichte der Anpassung
Nutzung: Wohnen
Geschosse: 4
Eigentum: seit 1985
Wohnhaus mit 3 Wohneinheiten
Bewohner/-innen: 9
Anzahl der Parteien: 3
Motivation
Das zu untersuchende Objekt befindet sich in einem der belebtesten und beliebtesten Stadtviertel einer großen Stadt. Das Haus wurde anfangs des 20. Jahrhunderts erbaut und erlebte seitdem viele gestalterische und bewohner*innenstrukturelle Wandel. Einst lebte hier eine Ärztefamilie, die im selben Gebäude ihrer Arbeit nachkam. Heute befindet es sich im Besitz einer asiatischen Familie, die es im Modell eines Mehrgenerationenhaushaltes bewohnt. Äußerlich erinnert das Gebäude an ein Stadthaus. Im Inneren zeigt sich, dass hier im Laufe der Zeit 3 Wohneinheiten entstanden, die heute alle der Familie L. zum Wohnen dienen. Die Bindung unter den Familienmitgliedern ist sehr innig. Jeder kann jederzeit zu Besuch – unter Absprache – vorbeikommen. Dieses Wohnmodell bietet viele spannende Ansatzpunkte, die in hochverdichteten Stadtteilen der Stadt eher untypisch sind. In der folgenden Analyse der Bewohnerstruktur im Kontext zu Stadt und Block untersuchen wir, wie dieses Modell entstand, wie es funktioniert und was wir aus diesem für zukünftige Wohnmodelle lernen können.
Historie Haus
Marie Antoinette Glaser versteht Dauerhaftigkeit "im Sinne von Nachhaltigkeit, also von nachhaltendem, erhaltendem Bestand über eine lange Zeitspanne hinweg, idealerweise generationenübergreifend. Dauerhaftigkeit besitzt immer auch eine kulturelle Dimension, indem sie auf gesellschaftliche Werte, Normen und Vorstellungen verweist." (Glaser, S. 15). Das jetzige Mehrgenerationenhaus war einst ein Ärztehaus. Der vorherige Eigentümer hatte seine Praxis im Erdgeschoss und in den sich darüber befindenden Geschossen wohnte die Ärztefamilie. Das Haus ist im Schnitt wie ein Einfamilienhaus aufgebaut. Es gibt im Eingangsbereich im Erdgeschoss einen Windfang mit angrenzendem Flur, der gleichzeitig als Treppenraum dient. Von hier aus erschließen sich die weiteren Wohnräume. Marie Antoinette beschreibt: "Dauerhaft bestehende Häuser werden über die Zeit verschieden bewohnt. In ihnen wird gelebt, interagiert und kommuniziert. Der Gebrauch, die Nutzungsansprüche und Wünsche sowie die den Räumen zugeschriebenen Funktionen und Bedeutungen können sich wandeln." (Glaser, S. 18)
"Wir haben es in einem maroden Zustand übernommen, zu einer Zeit, in der das Viertel und die dortige Atmosphäre noch schmuddelig war" (Herr L.). Zwischen diesem und dem Nachbarhaus gab es im Treppenhaus an einer Stelle eine Tür. Diese Öffnung wurde mit dem Einzug geschlossen. Bei einem späteren Umbau wurde das Haus um ein Geschoss aufgestockt, sodass es nun mit dem dritten Obergeschoss abschließt.
,,Das ist vielleicht auch das Komische an dem Haus, das sieht von außen so aus, als ob da nur eine Partei wohnt, dann geht man rein und da sind plötzlich mehrere Parteien. Das kann die Architektur aber nicht mehr ganz abbilden" (Herr L.).
Dementsprechend wirkt auch das Treppenhaus nicht mehr wie ein gewöhnliches Treppenhaus, das lediglich der vertikalen Erschließung der einzelnen Wohnräume dient. Es wirkt wie ein erweiterter Wohnraum, da hier Teppich ausgelegt wurde und Bilder an die Wände gehängt wurden. Außerdem dient der Treppenraum im Erdgeschoss als Abstellfläche für allerlei Gegenstände, wie Baumaterialien oder Spielgeräte der Kinder.
Bewohner:innen
Die derzeitigen Bewohner:innen verteilen sich auf die vier oberirdischen Geschosse. So bewohnt der älteste Sohn mit seiner Frau und den beiden Kindern das Erdgeschoss. Das Geschoss darüber steht derzeit leer bzw. befindet sich im Umbau. Diese beiden Wohnungen sind durch eine eigene Wohnungstür abgetrennt und funktionieren somit als eigene Wohneinheiten.
Das 2. und 3. Obergeschoss sind als eine Maisonettewohnung ausgebildet, die durch eine Tür im Treppenhaus auf Höhe des 1. Obergeschosses von den unteren Geschossen abgetrennt ist. Das 2. Obergeschoss wird von dem jüngsten Sohn mit seiner Freundin und einem Daueruntermieter (Airbnb) bewohnt. Zwei weitere Zimmer bieten hier Platz für Gäste, z. B. wenn die Tochter zu Besuch kommt. Im 3. Obergeschoss wohnen die Eltern.
Da es keine Trennung zwischen dem 2. und dem 3. Obergeschoss gibt, ist die Nutzung auch dementsprechend offen gestaltet. So nutzt der Sohn mit seiner Freundin die Küche im 3. Obergeschoss und die Eltern das Bad im 2. Obergeschoss mit, da sich hier die Dusche befindet. Der Daueruntermieter (Airbnb) hält sich dem gegenüber nur im 2. Obergeschoss auf und betritt das 3. Obergeschoss so gut wie gar nicht.
Die Privatsphäre im Haus wird von allen Bewohnern akzeptiert und respektiert. Jede/Jeder kann sich in seiner Wohnung bzw. seinem Zimmer zurückziehen, wenn er/sie möchte. An dieser Stelle kommunizieren die Familienmitglieder miteinander. Wenn man einen Abend dann doch lieber allein sein möchte, gibt man den anderen Bescheid. Darüber hinaus hat man die Möglichkeit, das Zimmer/die Wohnung auch abzuschließen. Generell ist die Privatsphäre bei der Familie L. kein großes Thema, da der Zustand der Wohnsituation als „normal“ angesehen wird. "Alle familieninternen Leute haben auch die Schlüssel von den anderen Wohnungen, also von daher, wir lassen die Türen in dem Sinne nicht offen, aber wenn jemand kommen möchte, ist er dann eingeladen.“ (Herr L., 2021)
Vertiefung
Die Zukunftsvariante für das Haus ist auf seine jetzige Nutzung und Funktion zurückzuführen. Insbesondere das Zusammenspiel zwischen Gemeinschaftsfläche und Rückzugsort sowie das markante Treppenhaus [und der ehemalige Durchgang zum Nachbarhaus] sind wichtige Bestandteile für die Entwicklung der Variante. Im ersten Schritt geht es darum, eine Wohngemeinschaft unterzubringen, die Grundrisse dementsprechend anzupassen und offener zu gestalten. Mit der Anpassung der Grundrisse und die Übernahme der ursprünglichen Tür zum Nachbarhaus entstehen die weiteren Transformationen.
Von der jetzigen Wohnsituation folgt zunächst die Umsetzung in eine Wohngemeinschaft. So verteilen sich bei der „Transformation 1“ die Zimmer vom EG bis ins 3. OG. Im Keller befindet sich ein Waschraum, Abstellmöglichkeit und ein gemeinsamer Aufenthaltsbereich. Die gemeinsamen Bereiche ziehen sich bis nach ganz oben, sodass auf jeder Etage es die Möglichkeit gibt, gemeinsam zu sitzen. Gemeinsam kochen ist in jedem Geschoss möglich, bis auf das 2. OG. Hier ist die Maisonettsituation aus der jetzigen Wohnsituation übernommen und so müssen die Bewohner des 2. OGs nach oben. Generell sind die Gemeinschaftsflächen so angelegt, dass sie einen Zugang zum Außenbereich haben.
Als Rückzugsbereich dient das eigene Zimmer, welches mit einem eigenen Bad ausgestattet ist. Die Nasszellen sind im Grundriss eher mittig gelegt, um die Zimmer an den Fenstern zu platzieren und um den Grundriss so optimal wie möglich zu nutzen.
Bei der Transformation 2 kommt das Nachbarhaus ins Spiel, zu dem damals eine Verbindung durch eine Verbindungstür im 2. OG bestand. Das wird an der Stelle aufgegriffen, sodass in jedem Geschoss ein Zugang zum Nachbarhaus entsteht. Die Gemeinschaftsbereiche werden erweitert und sowohl diese als auch die Zimmer werden auf das Nachbarhaus übertragen. Im EG wird die Terrasse ebenfalls erweitert, sodass ein großer Außenbereich entsteht. Im Keller ist jetzt sogar Platz für eine Sauna und Fitnessgeräte.
Bei der 3. Transformation wird das Ganze erweitert und ein Durchgang zu dem Nachbarhaus rechts geschaffen. Bei dieser Transformation wurde versucht, die Erschließungswege in der Qualität zu erhöhen. Durch die dazu gewonnene Fläche war das auch möglich. Dementsprechend wurde z. B. im Eingangsbereich der kleine Windfang aufgehoben. Da es nur eine einzige Eingangstür gibt, wurde viel mehr Wert auf einen großen Eingangsbereich gelegt, in dem man direkt verweilen kann. Dieser Bereich hat zusätzliche WC´s. Des Weiteren wurde in diesem Schritt der Koch- und Aufenthaltsbereich vom EG bis ins 2. OG voneinander getrennt. So befinden sich die Kochbereiche im linken Haus und die Gemeinschaftsflächen im mittleren Haus. Dadurch wird die Treppe nicht mehr als eigenes Element angesehen, sondern ist ein Teil der Gemeinschaftsfläche.
Im mittleren Haus ist das 3. OG komplett als Gemeinschaftsfläche organisiert. Hier gibt es einen Koch- und einen Spielbereich sowie die Dachterrasse. Diese Funktion wird aus der jetzigen Wohnsituation aufgegriffen, da die Familie bei Feiern die Küche und den Wohnbereich im 3. OG nutzt.
Im Keller ist im rechten Haus ein Garagentor, das als Zugang zur Werkstatt und zur Ein- und Ausfahrt für die Fahrräder dienen soll, so muss man die Fahrräder nicht ins Haus tragen. Die Werkstatt sowie der Hobbyraum wurde ebenfalls von der jetzigen Wohnsituation übernommen, da der Vater unseres Kontaktes seinen Bastelraum im Keller hat.
Glaser, Marie Antoinette (2013): Vom guten Wohnen. Vier Züricher Hausbiografien von 1915 bis zur Gegenwart. ETH-Wohnforum- ETH CASE (Hrsg.).
Bosaly/Ceylan-Ciplak/Freiwald/Wesierski-Kazanci/HCU 2021 - Lizenz: CC BY-NC-SA
Das Mehrgenerationenhaus der Familie L. befindet sich in einem Bezirk einer großen Stadt, welcher bis 1938 eine selbstständige Stadt war. Nach der Zerstörung im 2. Weltkrieg entstand hier im Jahr 1943 viel Geschosswohnungsbau in aufgelockerter Bauweise. Den Bewohnern der Straße des zu untersuchenden Gebäudes gelang es, den Altbaubestand, der nach 1945 noch geschlossen vorhanden…
Continue reading..."Ich kann so eine Wohnkonstellation natürlich nur, wenn es möglich ist, auch von der familieninternen Situation [...] Weiterempfehlen. Mir hat es nicht geschadet. Man kann sich gut unterstützen und hat viele Vorteile. Ich hatte z. B. die Möglichkeit, wenn ich bei meinen Hausaufgaben als Kind nicht weiterkam, nicht nur meine Eltern, sondern auch meine älteren Geschwister, die in…
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