Leben im Kleingarten

Lage: Irgendwo in Hamburg
Haustyp: Gartenhaus
Nutzung: Wohnen
Baujahr: 2008
Wohnfläche: 24 m²
Grundstücksfläche: 400 m²
Bewohner: 1
Besitzverhältnis: Pacht

Wo sind wir?

In Hamburg gibt es insgesamt 311 Kleingartenvereine, mit insgesamt 34.500 Kleingärten, auf denen meistens ein Gartenhaus oder Gartenlaube steht. Die Beschaffenheit, Bauweise und erlaubten Nutzungen der Laube und des Gartens werden über das Bundeskleingartengesetz und den jeweiligen Vereinsregeln festgelegt. Dabei ist das Wohnen im Kleingarten bis auf wenige Ausnahmen nicht erlaubt. Doch wie sieht es aus, wenn es trotzdem gemacht wird? Welche Herausforderungen gibt es und welche Qualitäten liegen im Wohnen in einem Kleingarten? Darum geht es in diesem Fall. Wir befinden uns in einem Kleingarten mitten in Hamburg, der Garten und die Person werden anonym behandelt, weil die Wohnsituation nicht legal ist. Im Rahmen unserer Forschungsarbeit absolvierten wir mehrere Vor-Ort-Besuche im Garten von B., bei denen auch ein Interview stattfand, begleitet von einer Besichtigung des Hauses und des Gartens. Es ist anzumerken, dass unsere Präsenz ausschließlich auf die Wintermonate beschränkt war, was auch den Schwerpunkt unserer Untersuchung darstellt.

Motivation

Die Wahl, im Kleingarten zu wohnen, wurde innerhalb des letzten Jahres getroffen, als B. im Frühjahr 2023 nach Hamburg zurückkehrte und nach einer Wohnmöglichkeit suchte. Der angespannte Wohnungsmarkt mit den gestiegenen Mieten war einer der ausschlaggebenden Faktoren im Kleingarten zu wohnen, um Kosten zu sparen. Denn die Pacht für einen Kleingarten beträgt hier 35 € im Monat. Hinzu kommt, dass B. sich für die geplante Selbstständigkeit eine geteilte Werkstatt anmietet und sich in einer Ausbildung befindet. Da stand die Frage im Raum: Entweder sich eine Werkstatt leisten oder eine Wohnung. Die Möglichkeit, im Kleingarten zu wohnen, bestand, weil die Eltern von B. den Kleingarten 2006 erworben und gemeinsam den Garten und das darauf stehende Gartenhaus aufgebaut haben. “Man konnte eigentlich nirgends geil rumhängen, hier schon.” Der Garten wurde von B. während der Corona-Pandemie wiederentdeckt.

Was macht es mit einem, wenn man in einem Kleingarten wohnt?

Neben den Herausforderungen, die das Wohnen im Kleingarten erschweren, gibt die Wohnsituation auch etwas, was in bekannten Wohnverhältnissen in der Stadt nicht vorkommt. Für B. war einer der Entscheidungsfaktoren, die Möglichkeit, seinen eigenen Wohnraum zu gestalten und einen Rückzugsort mit Garten etwas abseits der hektischen Stadt zu haben. Insbesondere in der wärmeren Jahreszeit empfindet B. das Wohnen im Kleingarten als Luxus. Der Garten wird nicht nur bewohnt, sondern es muss sich auch um ihn gekümmert werden. Dazu zählt die Gartenarbeit aber auch mehrere kleine Maßnahmen, die Notwendig sind um dort leben zu können.

“Man wacht jeden Morgen im Grünen auf. Es ist super ruhig. Ich habe ein sehr hektisch life, würde ich sagen. Und da tut mir das auf jeden Fall richtig gut. Einfach an einem Ort aufzuwachen oder einfach mich an einem Ort zurückziehen zu können, der einfach frei von Reizen ist. Insbesondere im Sommer, wo man sich eigentlich eh die ganze Zeit draußen aufhalten kann. Morgens aufzuwachen, draußen zu frühstücken, in der Sonne loszufahren, das ist schon ein großer Luxus.”

B. hat sich im Zusammenhang mit seiner Wohnungssuche in Hamburg und dem zuvor einjährigen Leben im Bus auch mit allgemeingültigen und selbstverständlichen Wohnvorstellungen auseinandergesetzt. Die Wertschätzungen von Standards wie einen warmen Wohnort, fließend Wasser und ein Dach über dem Kopf empfindet B. nicht mehr als Selbstverständlichkeit, um die er sich in einem klassischen Wohnverhältnis nicht kümmern müsste. Der Garten selbst produziert Gemüse und Obst, aus denen dann im Sommer spontan ein Salat gemacht werden kann oder Marmelade aus den verschiedenen Früchten.

Trotz der genannten Herausforderungen zeigt B.s Fall, dass andere Wohnformen möglich sind. Beim Wohnen im Kleingarten ist das Wechselspiel von Innen,- und Außenraum, ein fester Bestandteil der Wohnpraxis. Sie ist stark vom Wetter und den Jahreszeiten beeinflusst. So haben die Jahreszeiten Einfluss auf das Wohlbefinden und die Wohnqualität. Sie haben Einfluss auf den Faktor der Illegalität, die Kosten, die Herausforderungen und die Notwendigkeit auf andere Infrastrukturen ausweichen zu müssen.

Fazit

Durch die Situation lässt sich erahnen, welche wesentlichen Faktoren für das Wohnen notwendig erscheinen und wie selbstverständlich sie für unser Wohnverständis wahrgenommen werden. Dazu zählt fließend (warmes)Wasser oder Schutz vor Witterung, durch z.B. eine gute Isolierung und ein festverbautes Heizsystem. Wenn diese Faktoren nicht gegeben sind, dann muss darauf reagiert werden. Das können kleinere Baumaßnahmen sein oder es wird auf andere Infrastrukturen wie z.B. die Werkstatt, zurückgegriffen.

Der Fall zeigt aber auch, das Flächen und Chancen zum Wohnen da sind und wie sie durch Regularien verboten und erschwert werden. In diesem Beispiel ist es das Bundeskleingartengesetz, mit den genauen Anforderungen und Einschränkungen an dem Haus. Hinzu kommen die Vereinsspezifischen Regeln und Kontrollen. Trotz dieser Hürden ist das Wohnen in diesem Fall möglich, weil der Kleingarten bestimmte kritische Anforderungen erfüllt.

Trotz der Hürden durch die Illegalität oder den Herausforderungen, die durch das Wohnen im Kleingarten anfallen überwiegen für B. vorerst die Vorteile. Es wird sich zeigen, ob sich die Situation eine längerfristige Option darstellt.

"Also ich finde es schön. Also im Sommer habe ich gesagt, schöner habe ich noch nie gelebt. Jetzt ist natürlich Winter, jetzt sieht es ein bisschen anders aus. Also ich würde mich natürlich auch irgendwie darüber freuen, wenn es konsequent warm ist. Aber ist es ja nicht, es ist halt so. Also ich denke mir immer also was auch tatsächlich bei mir schon so ursprünglich ausgelöst hat im Bus zu wohnen war einfach so ein sehr, sehr starkes Gefühl von Dankbarkeit für Wärme, ein Dach über dem Kopf, fließend Wasser, so alles, was man so natürlich in unserer Welt so ein bisschen als selbstverständlich ansieht".

Leben mit den Jahreszeiten

Die beschriebene Wohnsituation von B. verdeutlicht, dass Wohnen nicht ausschließlich durch die Innenräume eines Hauses definiert ist, sondern stets eine Verbindung zum Außenbereich aufweist, da grundlegende Bedürfnisse wie Zugang zu Wasser oder Toilettennutzung nur durch den Außenraum möglich sind. In B.s Fall ist das Wohnen im Kleingarten stark von Witterungsbedingungen abhäng…

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